Mit einer Kormoran ist die Elbe sogar in den meisten Sommern noch schiffbar. Törnbericht einer Urlaubsfahrt im großen Bogen von Zeuthen an die Müritz
Mit Urlaubsplänen wird man ja mit der Zeit vorsichtig. Einmal hatten mein Mann und ich uns auf zwei lauschige Wochen mit einer netten kleinen gecharterten Segelyacht in der Türkei gefreut.
„Du, das wird super, ein Boot für zwei kriegen wir da jetzt für unter 1000 Euro“, freute sich der schwäbische Ehemann.
Kurz darauf kam eine Nachricht vom ausgezogenen Sohn: „Was macht Ihr eigentlich im Urlaub?“
„Türkei. Segeln.“
„Cool, ich komm mit.“
Es dauerte nicht lange, da hatte sich die Kunde auch zur ebenfalls schon lange selbstständigen Tochter herumgesprochen.
„Hab gehört, es geht in die Türkei zum Segeln?“
„Hmja“
„Super, bin dabei!“
Kurz: Es wurde nichts aus dem kleinen 2-Personen-Rutscher, es musste eine stattliche Yacht mit 3 Kabinen her. Und zwei Flüge extra. Und dann waren die Kinder inzwischen so groß, dass sie genau wie wir zuweilen Wein zum Essen und auch gerne einen Gin-Tonic davor oder danach (gerne auch beides) trinken.
„Humpf“ machte der Schwabe.
Urlaubsplanung Kids-free?
Als es also im folgenden Jahr wieder darum ging, zu überlegen, wo es hin gehen sollte, kalkulierten wir derartige Nebenkosten vorsichtshalber gleich mit ein. Völlig unnötigerweise, denn weil unsere Urlaubskasse noch von der schicken Yacht in Marmaris her nur so mittelvoll war, entschieden wir uns, für das, was bei uns Budget-Ferien sind: Hausbooturlaub. Sehr zügig winkten die Kinder ab, Hausbootferien machen sie inzwischen lieber ohne Eltern mit eigenen Kumpels.
Das war schon mal gelungen! Jetzt nur noch ein Boot suchen! Wir fanden eine Kormoran 1140, die von der Basis in Zeuthen an die Müritz sollte, weil sie in der Werft zur Überholung eingeplant war. Ich weiß, nach über 20 Jahren in der Firma hätte mich das misstrauisch machen sollen, seufz!
Transfer-Logistik bei Einfachfahrten
Einer der großen Vorteile, die eine Charterflotte wie Kuhnle-Tours mit mehreren Standorten hat, ist der, dass man Oneways, Einfachfahrten machen kann. Also von Basis zu Basis, statt hin und zurück zu fahren. Der Nachteil von Oneways ist, dass man irgendeinen Transfer organisieren muss. Und zwar nicht nur für zwei Leutchen, sondern auch für:
- zwei Fahrräder
- zwei Reisetaschen
- Bootsgrill, Kühlbox, Arbeitsrucksäcke (seufz!)
- Bootskiste
- Proviant
- Getränke
Um weder unseren Mitarbeitern auf den Nerv zu gehen (nach Zeuthen fährt man von der Müritz mindestens zwei Stunden), noch uns mit dem Gepäck in die Bahn zu quälen (so abenteuerlustig sind wir dann auch wieder nicht!), luden wir alles in und auf mein altertümliches Wohnmobil, dass gerade mit einem von mir ausgetüftelten und von der Werft gebauten Fahrradträger ausgestattet worden war und tuckerten mit 110 km/h gen Zeuthen. Kurz nach unserem Urlaub wurden wir nämlich ohnehin im südlichen Brandenburg erwartet, da könnte man das Wohnmobil auf dem Rückweg wieder einsammeln.
Sportliches Nachmittagsprogramm
Am 1. Juli übernahmen wir die „Döbel“ – wieder mal so, wie man es eher nicht machen soll: in Hektik. Noch schnell durch die Schleuse Kleinmachnow! Das sind kurz über 40 Kilometer von Zeuthen aus – ziemlich sportlich für ein Nachmittagsprogramm. Die Durchschnittschartercrew fährt 30 bis 40 Kilometer am Tag. Also: Fix den Rewe in Zeuthen gestürmt, Zeug an Bord geworfen, noch mal schnell bei den Zeuthnern gefragt, ob Wasser, Abwasser, Diesel okay sind. Antwort: „Joar, klar.“ Nichts wie los.
Wir schaffen es bis zum Stadthafen Teltow. Eine schöne neue Anlage mit schicker Beachbar, doch dank eines gemeinsam mit uns eintreffenden Regenschauers ist man dort gerade dabei, die Strandliegen zusammenzuräumen und die Bierzapfanlage durchzuspülen. Nach einer Weile stöbern wir den Hafenmeister auf, der heute eigentlich frei hat und uns trotzdem mit der wichtigsten aller Informationen versorgt: „Für Brötchen geht Ihr nicht hier zum ersten, sondern über die Brücke zu dem Franzosenbäcker.“ Der heißt „Aux Delice Normands“, hat mehrere Filialen in Berlin und die nächstliegende ist immer noch knapp zwei Kilometer weit weg. Aber er macht der deutschen Entsprechung seines Namens („zu den normannischen Köstlichkeiten“) alle Ehre.
Der Gatte radelt morgens los und kommt nach einer gefühlten Ewigkeit – ich bin schon ganz geschwächt vor Hunger – mit duftenden, innen flaumig-fluffigen, außen knusprig-knackigen Croissants wieder. Überaus glücklich bestreiche ich immer ein Stück Croissant mit der Birnen-Vanille-Marmelade, die uns aus dem Land Fleesensee zugelaufen ist. Köstlich. Regnet es? Mir doch egal!
An der Schleuse Kleinmachnow melden wir uns über die Gegensprechanlage und bekommen gesagt, dass wir in etwa einer Stunde mit einem Berufsschiff zusammen geschleust werden. Also erst mal festmachen. In der ehemaligen Schleusnerbude soll es ein kleines Kanalmuseum geben, das ist mein Ziel. Zwischendurch stolpere ich noch an einem kleinen Park über den dort stehenden Straßenbahnwaggon 3587 der auch ein kleines Museum beherbergt, aber gerade geschlossen ist.
Zur Schleusenerbude muss man von der Schleusenbrücke aus eine enge Treppe herunter und kommt dann zwischen zwei der drei Kammern der Schleusenanlage Kleinmachnow an. Ein älterer Herr begrüßt mich in der Schleusnerbude. Er ist der ehemalige technische Leiter der Schleuse und hat hier jahrzehntelang Dienst getan. Er führt mich liebevoll durch die zwei Kämmerchen des Museums und erzählt aus seinem Leben. Der Teltowkanal hat eine überaus interessante Geschichte und die Schleuse Kleinmachnow ist nicht nur optisch wirklich ein Schmuckstück, sondern auch technisch spannend. Es bewährt sich immer wieder, einfach vor Ort den Menschen zuzuhören, die man so trifft. Falls die Schleusnerbude mal nicht besetzt ist, habe ich hier einen Link: Die Geschichte des Teltowkanals ist defintiv spannender, als den Kanal zu befahren. Die Schleuse ist hier das einzige Highlight.
https://www.wsa-spree-havel.wsv.de/Webs/WSA/Spree-Havel/DE/01_Wasserstrassen/02_Bundeswasserstrassen/59_Teltowkanal/Geschichte.html?nn=2526302
Bridge of Spies
Nach der Schleuse kommen wir zügig voran. Potsdam lassen wir links liegen, biegen gleich Richtung Glienicker Brücke ab. Als Hamburgerin habe ich ja eine Schwäche für genietetes Eisen. Und diese 1907 gebaute Brücke ist nicht nur schön, sondern auch geschichtsträchtig, wie zuletzt Tom Hanks in dem Spielberg-Film „Bridge of Spies – der Unterhändler“ zeigte: Drei Mal – 1962, 1985 und 1986 – tauschten die West- und Ostmächte im Laufe des Kalten Kriegs hier insgesamt 40 Personen (nicht alles Spione, aber einige) aus.
Vom Jungfernsee richten wir den Bug unserer „Döbel“ Richtung Sacrow-Paretzer-Kanal. Für einen Besuch des Schlosses Paretz nehmen wir uns keine Zeit. Eigentlich schade, denn Königin Louise, die hier mit ihrem Mann Friedrich Wilhelm III. und den gemeinsamen Kindern die Sommerfrische verbrachte, war ja immerhin eine mecklenburgische Prinzessin. Louise brachte in 17 Ehejahren zehn Kinder zur Welt, von denen immerhin sieben das Erwachsenenalter erreichten, bevor sie 1810, mit nur 34 Jahren in Hohenzieritz starb. Nunja, wir wollen abends in Brandenburg nett essen gehen und am Tag darauf noch etwas einkaufen, insofern lassen wir den Gashebel auf „Voraus“.
Schwester Havel
Nach dem Sacrow-Paretzer-Kanal hat uns die Havel wieder. Moment mal: Wenn man zum Rhein „Vater Rhein“ sagt und zur Elbe „Mutter Elbe“. Was ist dann die Havel? Die Schwester? Die Tochter? Wir folgen also der Schwester Havel zu Tal der Mutter Elbe entgegen. Landschaftlich zeigt sich der insgesamt 334 Kilometer lange Fluss, den wir hier als Untere Havel-Wasserstraße befahren, von seiner schönsten Seite. Die Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes (WSV) hat die Mischung aus breitem Fluss und Seenkette sauber und ordentlich betonnt. Da hier im Unterlauf nur wenig Gefälle ist, sind es bis zur Elbe zwar 122 Kilometer, aber nur sechs Schleusen.
Die erste Herausforderung – wenn man das bei der niedrigen Fließgeschwindigkeit überhaupt so nennen mag – gibt es bei Kilometer 42. Hier, am sogenannten „Deetzer Knie“, biegt der Fluss fast im rechten Winkel ab. Als es vor Jahren mal darum ging, die Charterscheinregelung, nach der Hausboote auch ohne Bootsführerschein gefahren werden dürfen, um die Untere Havel zu erweitern, hatte die WSV zu einer Bereisungsfahrt eingeladen. Eben hier, am „Deezter Knie“ müssen sich Binnenschiffe gegenseitig per Funk „wahrschauen“ dass sie da sind, um überraschende Begegnungen oder gar Unfälle zu vermeiden. Sportboote unterliegen dieser Meldepflicht nicht, dennoch kam die WSV nach der Bereisung zu dem Schluss, dass ein Boot, das einen Sportbootführerschein-Binnen-Inhaber an Bord hat, da ein geringeres Risiko darstellt, als eine noch so gründlich eingewiesene Charterscheincrew. Alternativ könnte man übrigens ein klitzekleines Kanälchen von gerade mal 500 Metern Länge buddeln, das die Knickstelle begradigt. Da ist auch nix weiter als Sumpf, mit einem Schwimmbagger und einem Stapel Spundwänden könnte man das relativ schnell erledigen. Naja.
Vorstadt- oder Sportbootschleuse?
Wir mäandern uns die Havel weiter Richtung Brandenburg. Unser Ziel ist es, die Vorstadtschleuse Brandenburg vor ihrer Schließung (ausgerechnet heute anders als sonst üblich um 19 Uhr) zu erreichen. Durch die Sportbootschleuse in der Stadt wollen wir nicht, denn davor liegt die Steintorbrücke, die mit 3,04 m Durchfahrtshöhe bei einem Stand von 214 cm am Oberpegel Brandenburg angegeben ist. Eine Kormoran hat etwa 2,85 Meter über der Wasserlinie, insofern könnte man es auf einen Versuch ankommen lassen. Ist aber eh wurst, weil die Sportbootschleuse auch um 19 Uhr schließt und wir uns noch ein paar Kilometer durch die Stadt anschleichen müssten. Außerdem hat die Steintorbrücke einen gemauerten Bogen, der eventuell dem Salondach doch zu nahe kommen könnte.
Fast ohne Wartezeit bekommen wir eine Privatschleusung in der riesigen Schleusenkammer, richten danach den Bug nach Backbord zur Innenstadt. Ober- und unterhalb der modernen Jahrtausendbrücke gibt es mehrere Liegestellen für Sportboote. Wären doch alle Städte so freundlich zu Gastbooten! Wir legen uns mit dem Heck an den Steg, ich finde ein Schild, auf dem steht, dass man sich bitte an den Hafenmeister der anderen Anlegeplätze (auf der anderen Uferseite und südlich der Jahrtausendbrücke) wenden möchte. Ich wandere da hin, um ein weiteres Schild zu finden, auf dem steht, dass der Hafenmeister schon Feierabend hat. Nun denn! Dann also morgen. Dafür habe ich von der Brücke aus einen tollen Blick auf unser Bötchen und das Packhofufer vor dem alten Werftgebäude. In dem befindet sich nämlich das von uns ausgewählte Restaurant, ein Italiener, der „La Famiglia“ heißt. Vater ist der Koch, die Mutter serviert und der Sohn ist der Chef und kellnert. Wir sitzen auf der schönen Terrasse fast mit Blick aufs Boot.
Shopping in Brandenburg
Am nächsten Morgen gehen wir Brandenburg entdecken. Wir hatten schon bei einem einen Abendspaziergang die Lage sondiert und daher trennen wir uns für den Vormittag: Ich schlendere durch kleine Lädchen und erstehe einen schön getöpferten Kaffeepott. (Die kleinen Tassen auf unseren Booten sind echt ärgerlich. Dass es sie immer noch gibt, ist ein schönes Beispiel dafür, wie wenig Macht man als Ehefrau des Geschäftsführers hat.) Ein paar Schaufenster weiter entdecke ich ein paar hübsche kleine silberne Ohrstecker, die unbedingt mitmüssen. Der freundliche Verkäufer zeigt mir noch den passenden Anhänger dazu. Nun bin ich kein Halskettentyp und frage, ob es den Anhänger nicht als Brosche gibt. Gibt es nicht, aber er verspricht, den Anhänger mit einer Krawattennadel zu versehen, damit ich ihn am Blazer-Revers befestigt bekomme. Ein bisschen mulmig ist mir schon, als ich Ohrstecker und künftige Brosche bezahle. Aber tatsächlich kommt nicht lange nach unserer Rückkehr ein eingeschriebener Brief von Firma Kretschmer aus Brandenburg mit der neuen Brosche bei mir an. Was hatte ich gedacht? Dass außerhalb meines mecklenburgischen Dorfs die Welt voller Banditen ist? Ich glaube, ich gucke zuviele Krimis!
Cool-on-demand
Der Gemahl hat unterdessen eine Landfleischerei um Wurst, Aufschnitt und Grillfleisch erleichtert und verstaut alles sicher im Kühlschank an Bord. Wir legen ab und fahren die Niederhavel herunter. Eigentlich wäre es nett, hier eine Charterbasis aufzumachen, aber bisher waren unsere Bemühungen vergebens. Dabei ist man auf Boote wirklich perfekt eingestellt in dieser schönen Havelstadt: Knapp hinter der nächsten Brücke liegt ein Rewe-Markt mit Anlegesteg zum Einkaufen. Bei der Nachrechcherche erklärt mir der zuvorkommende Marktleiter, gerne könnten Bootscrews auch vorab bei ihm anrufen, dass er die gewünschten Getränke kalt stellen möchte. Hier ist die Telefonnummer: (0 33 81) 6 05 54 30.
Kunst und Natur im Westhavelland
Über Breitlingsee und Plauer See (nach dem Brandenburger Ortsteil Plaue benannt) folgen wir der Seenkette nach Norden. Da wir zu lange getrödelt haben, schaffen wir es nur noch bis zur Schleuse Bahnitz, die allerdings ihren Betrieb schon eingestellt hat, als wir angetuckert kommen. Macht nichts, denn von der Wartestelle der Schleuse kann man bequem an Land, es sind dort sogar Tafeln aufgestellt, die über Natur- und Flusslandschaft und die Tiere informieren, die uns im und über Wasser im Naturpark Westhavelland begegnen.
Bei herrlichstem Sonnenschein setzen wir am nächsten Tag unseren Törn fort. Berufsschiffe nehmen ja vom Plauer See aus üblicherweise den Elbe-Havel-Kanal, so wird es ruhiger auf dem Fluss. Aber ein bisschen Aufmerksamkeit braucht man schon am Steuer: Es gibt Sandbänke mitten im Fluss, auf denen sich Vögel ausruhen, bis sie im Wasser den nächsten Leckerbissen erspähen. Die auch hier ausgelegten Tonnen bewahren die Bootscrews vor dem Verlust ihrer Kaution, trotzdem ist das hier kein Revier, in dem man als Steuermann noch nebenbei Kartoffeln schälen kann.
Das Örtchen Premnitz beeindruckt uns mit einer schönen Uferpromenade samt Kunst! Im Zuge der Bundesgartenschau 2015 sollten triste Bauwerke in Hingucker verwandelt werden. So steht direkt am Ufer ein Wohnblock, dessen Außenfassaden mit Illusionsmalerei versehen sind. Außerdem gibt es auf dem Dach eine über der Havel schwebende Aussichtsplattform. Anlegen lohnt sich! Und dann steht da auch noch die „Galiarde“ – eine sechs Meter hohe Edelstahlskulptur von Volker Michael Roth. Über ihre Bedeutung sagt der Tourismusverband Havelland: Die Figur „symbolisiert mit sprießender Pflanze den Aufschwung der Stadt. Neben ihr sitzt ein Fischer in seinem Boot als Sinnbild der Entwicklung des Ortes vom Fischerdorf zur Industriestadt.“
Außenbordkameraden unter dem Mikroskop
Ein paar Minuten später erreichen wir Milow. Bei unserem letzten Haveltörn Anfang der 2000er hatten wir hier übernachtet. Allerdings nicht an der schönen Steganlage, an der wir jetzt festmachen, sondern an der Betonwand auf der anderen Flussseite. Der Steg war damals nur winzig klein und vor allem belegt. Diesmal wollen wir uns den Besuch des Besucherzentrums des Naturparks Westhavelland nicht entgehen lassen und auch den Gasthof kann man mal genauer angucken.
Das Besucherzentrum enttäuscht nicht. Wie viele dieser Einrichtungen ist sie liebevoll, fachkundig und erlebnisorientiert gestaltet. Und selbstverständlich kinderfreundlich und barrierefrei. Großartig hier ist, dass es eine Flusslandschaft gibt, die man auf Knopfdruck mit echtem Wasser überfluten kann und man so einen Eindruck davon bekommt, wie wichtig Auwälder, Deiche und Überflutungsflächen sind. Auf dem Boden ist der Flusslauf der Havel mit Seitenarmen und anderen Verzweigungen aufgemalt, es gibt jede Menge interaktive Ausstellungsstücke und auch ein Mikroskop steht bereit, um die kleinsten Außenbordkameraden zu entdecken. Nachdem unser Wissensdurst gestillt ist, versorgen wir auch den gewöhnlichen Hunger nebenan im Gasthof.
Der Tag ist noch nicht weit fortgeschritten, so ist Rathenow unser nächstes Ziel. Wir nehmen nicht die Hauptschleuse, sondern die Sportbootschleuse in der Stadt, amüsieren uns beim Warten über die Schleusenspucker, eine Bronze-Skulpturengruppe von Volker Michael Roth, dessen Name uns noch aus Premnitz in Erinnerung ist. Die Geschichte dahinter: In den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts lungerten im Stadthafen von Rathenow (also oberhalb der Schleuse) immer ein paar Tagelöhner herum, die hofften, ein paar schnelle Taler zu machen, in dem sie halfen, die dort anlegenden Frachtkähne zu be- oder entladen. Rathenow war als Wiege der Optik-Industrie und Mühlenstadt ein wirtschaftliches Zentrum, so gab es immer mal was zu tun. Und wenn gerade nicht, vertrieben sich die Tagelöhner die Zeit damit, hin und wieder einen Schluck aus ihrem Flachmann zu nehmen und sich von der Schleusenbrücke aus mit den anderen im Weitspucken zu messen. Nun, man muss nicht jeder Unart ein Denkmal setzen, aber die Skulpturengruppe schießt alle paar Augenblicke einen zumeist unerwarteten kurzen Wasserstrahl in die Rathenower Stadthavel, der zumindest für Uneingeweihte überraschend kommt.
Unterhalb der Stadtschleuse gibt es wieder einen schönen Anleger vor dem örtlichen Rewe-Markt. Eigentlich müsste man schon aus Prinzip hier anlegen und einkaufen, wenn Herr Rewe schon Geld für die Anlegestelle in die Hand genommen hat! Leider sind wir noch aus Brandenburg gut versorgt.
Einen guten Kilometer unterhalb der Schleuse Grütz verlassen wir Brandenburg. Also vielleicht, denn hier ist die Havel ein paar Kilometer lang die Grenze zwischen Sachsen-Anhalt und Brandenburg. Ob wir gerade auf der brandenburgischen oder auch der sachsen-anhaltinischen Seite des Flusses sind? Keine Ahnung. Zwölf Kilometer wechselt die Havel jetzt immer mal das Bundesland. Wie die Wasserschutzpolizisten hier wohl klarkommen?
Bei Garz soll es noch einen Hafen geben. Den wollen wir uns angucken. Unterhalb der Schleuse zweigt ein zunächst betonnter Seitenarm nach Westen ab. Vorsichtig schleichen wir uns an, misstrauisch von einen spitzschnabeligen Vogel beobachtet. Der Hafen von Garz ist relativ eng und dicht mit Dauerliegern gefüllt. Wir hatten eigentlich auf eine Möglichkeit, unseren Abwassertank abzusaugen gehofft, aber der Wasserstand ist so niedrig, und wir müssten halb im Päckchen anlegen, so dass wir bezweifeln, dass wir mit dem Schlauch rankommen. Der nächste Abzweig führt nach Strodehne. Hier gibt es reichlich Platz an einer modernen Schwimmsteganlage, aber es ist noch zu früh zum Übernachten, so legen wir nach einem Käffchen an Bord wieder ab.
Dunkle Wolken zeigen sich am Himmel, so biegen wir schnell in einen östlichen Altarm ein. Hier, in Vehlgast-Kümmernitz erwartet uns ein kleiner Schwimmsteg, an dem wir festmachen. Im Ort gibt es eine hübsche neugotische Backsteinkirche und einen schönen Dorfkern. Wir lassen den Regenschauer über uns hinwegziehen und klappen die Laptops auf, E-Mails checken.
Wir folgen der immer breiter und gemächlicher fließenden Havel bis nach Havelberg, unserem Ziel für heute Abend. Auch hier gibt es eine Absauganlage für Abwassertanks wie unseren, der örtliche Charterunternehmer sagt jedoch, seine Tankkapazität reiche gerade so für die eigene Flotte aus, zusätzliches Abwasser bekomme er nicht untergebracht. Seufz.
Essen bei der Nachbarin
Mit den Fahrrädern gehen wir auf Stadtrundfahrt. Die Stadt ist schön, hat einen monumentalen Dom und mehrere schöne Kirchen, aber auch wieder ein interessantes Naturparkzentrum, das „Haus der Flüsse“. Wir googeln, ob es nicht ein nettes Restaurant für uns gibt und finden uns überaus artgerecht im Restaurantschiff „Hoffnung“ untergebracht, dass auf der Havelseite der Stadtinsel nahe des Kornspeichers (und des alten Pegelturms) festgemacht ist. Die „Hoffnung“ ist sozusagen eine Nachbarin von uns: Das Binnenschifferforum verzeichnet sie als 41 m langes Großmotorgüterschiff, das 1909 in Waren an der Müritz gebaut worden ist. Bis 1997 war sie wohl noch in Fahrt, seit 2022 liegt sie mit einer Art aufgesetztem Wintergarten in Havelberg.
Wir bereuen unsere Wahl durchaus nicht. Ein ebenso liebevoller wie zuvorkommender Service, und wirklich leckeres, frisch zubereitetes Essen (das darf dann auch ein wenig länger dauern) und natürlich perfekte Aussicht auf das Wasser! Leider haben wir den Sparerib-All-you-can-eat-Tag verpasst, aber der Rippchenteller ist genauso lecker und lässt noch Platz für einen Nachtisch.
Unterwegs zu unentdeckten Weiten
Nach dem Frühstück beginnt das große Abenteuer. Jetzt werden mein Mann und ich einen Gewässerabschnitt befahren, auf dem wir noch nie zuvor unterwegs waren: die Elbe zwischen Havelberg und Dömitz. Bei unserer ersten Havelfahrt waren wir über den Elbe-Havel-Kanal nach Magdeburg und von da aus die Elbe zu Tal bis Havelberg gefahren, wo wir wieder eingeschleust haben und dann die Havel zu Berg zurück an die Müritz gefahren sind.
Theoretisch führen von Havelberg zwei Wege in die Elbe: Die große und moderne Schleuse gleich in Havelberg oder aber die sogenannte Mündungsstrecke. Zwanzig Kilometer schlängelt sich die Mündungsstrecke zuerst als Havel, dann als Kanal mit dem Namen „Gnevsdorfer Vorfluter“ einigermaßen parallel an der Elbe entlang. Beide Gewässer sind befahrbar, aber eben nicht durchgängig, weil in der Mitte, in Quitzöbel, eine große Wehranlage steht, dessen Schleuse seit Ewigkeiten gesperrt ist.
Wir nehmen also die große Schleuse in Havelberg. Kaum dass sich die Außentor für uns geöffnet haben – wir sind noch auf dem Schleusenkanal – meldet sich das Echolot mit einem mahnenden Piepser um uns darauf vorzubereiten, dass man auf der Elbe mit allem zu rechnen hat – mit Hochwasser aus Tschechien genauso wie damit, zwischen den Buhnen Platz für Sandburgen mit vier Zimmern bauen zu können.
Aber als erstes nehmen wir den Törnatlas zur Hand. Wie sind nochmal diese grünen und roten Tafeln und die gelben Kreuze (mal liegend als x, mal stehend als +) zu deuten? Da war doch irgendwas mit Fahrrinne, oder? Nun ist es ja so, dass wir mit unseren 75 Zentimetern Tiefgang niedrigen Wasserständen entspannt begegnen. Aber einmal nachgucken schadet sicher nicht, auch wenn sich das Echolot nach der letzten Sandbank vor dem Schleusenkanal nicht wieder gemuckst hat.
Elbe: Fluss ohne Limits
Ebenfalls ungewohnt für uns Seenketten-Kapitäne: Es gibt Strömung! So mit zwei bis vier Kilometern pro Stunde – je nach Uferseite und Gewässerbreite – schiebt uns die Mutter Elbe nach Westen. Wenn wir dann noch den Hebel auf den Tisch legen, also unseren Diesel mit Vollgas fahren, weht es uns direkt die Haare aus dem Gesicht. Geschwindigkeitsrausch mit 13 km/h! Doch es geht noch schneller, wie uns ein aufkommendes Flitzeboot zeigt. Das kleine Sportboot gleitet mit soviel Speed über den Fluss und an uns vorbei, dass wir kaum Zeit zum Grüßen haben. Hier auf dem Fluss gibt es keine Geschwindigkeitsbegrenzung.
Bis zu unserem Etappenstopp im Wittenberge ist nicht viel zu sehen: unter uns blaues Flusswasser, über uns an Steuerbord blauer brandenburgischer Himmel, an Backbord blauer sachsen-anhaltinischer Himmel und hinter den Buhnen beidseitig jeweils grünes Deichvorland. Zwischen Rühstädt und Wittenberge fließt die Elbe in drei großen Bögen durch das UNESCO Biosphärenreservat Flusslandschaft Elbe. Außer Natur gibt es hier nix. Wir essen während der Fahrt ein Salatchen und wechseln uns am Steuer ab. Außer dem Bootsanlegesteg in Hinzdorf gibt es keine Anlegemöglichkeit hier. Wittenberge, wir kommen!
Wir haben viel vor in der schönen Hafenstadt an der Elbe. Unser Abwassertank muss jetzt wirklich mal leer gemacht werden, das Bier geht zur Neige und außerdem hat unser Kleiner morgen die feierliche Übergabe seines Bachelor-Zeugnisses in Hamburg. Tausche Hausboot gegen Eisenbahn!
Doch erst mal müssen wir überhaupt reinkommen. Der Hafen ist nicht zu übersehen. Einen Kilomter nach einer Eisenbahnbrücke über die Elbe geht es rechts ab. Der Fluss Karthane und wahrscheinlich auch ein paar clevere Wasserbauer haben hier für ein geräumiges Hafenbecken gesorgt, das nur äußerst spärlich mit Booten gefüllt ist. So ein Glück! Oder etwa nicht? Beim Näherkommen sehen wir überall Schilder: Ab heute ist der Hafen gesperrt! Drachenbootrennen! Wie jetzt? Wir legen erst mal an.
Den Schwimmsteg entlang und dann den Steiger hoch, ist ein Grüppchen mit Aufbauarbeiten für irgendeine Festivität beschäftigt. Ich finde den Hafenmeister und erkundige mich danach, ob das Anlegeverbot auch für ein nettes kleines harmloses Hausboot wir unseres gilt, dass wir zwei Tage bestimmt nicht bewegen werden. „Jo, das gilt auch für Euch“, werde ich beschieden. Ich frage, ob wir denn bitte noch unser Abwasser an die auf dem Steg stehende Absauganlage übergeben dürfen. „Och, watt, dat Schietding ist doch kaputt.“ Die Pumpe sei so gebaut, dass immer wieder ein bestimmtes Teil verstopfe und dann zerbröselt, sagt der Hafenmeister, da die Reparatur immer vierstellig koste, habe man es irgendwann aufgegeben.
Jetzt bin ich ehrlich verzweifelt und das scheint man mir anzusehen. Der Hafenmeister hört mir freundlich zu, als ich erkläre, dass Wittenberge fest eingeplant ist, weil ja der Kleine morgen in Hamburg sein Zeugnis bekommt und schon die große wegen Corona ohne Elternbeistand ihren Bachelor alleine habe abholen müssen. Er fasst sich ein Herz. „Guck mal, da hinten an dem Fahrgaststeg, da könnt ihr ran. Da kommt die nächsten Tage eh keiner. Legt euch da man hin.“ Glücklich kehre ich mit der guten Nachricht vom Fahrgastanleger und der schlechten, dass wir unseren Abwassertank noch bis Dömitz behalten müssen, wieder an Bord zurück.
Der Fahrgastanleger erweist sich als echter Glücksfall. Wir liegen ein bisschen ab vom Geschehen im Sportboothafen, können aber entspannt über eine Rampe mit den Fahrrädern an Land. Als erstes radeln wir zum Bahnhof, die Tickets für morgen besorgen und die Verbindungen noch mal checken, dann zum Einkaufen. Mein Mann macht sich schon abends auf dem Weg zurück an die Müritz. Er meint, der Kleine würden den letzten Tag seines Studiums auch ohne ihn überstehen und will lieber mal im Büro vorbeischauen, da werde er eher gebraucht.
Ich radele mit den Einkäufen zurück an Bord und genieße die Abendsonne mit einen Aperol Spritz. Zwischendurch kommen tiefe Trommeln immer mal näher: Die Drachenbootteams trainieren für morgen. Bei zweiten Aperol Spritz mustere ich dann doch kritisch das Glas: Habe ich hier eben Geigen gehört? Und Bläser? Mit mir und dem Aperol Spritz ist alles in Ordnung, google ich mir zurecht! Nicht einmal hundert Meter Luftlinie entfernt probt das Filmorchester Babelsberg unter freiem Himmel für die morgen stattfindenden Elblandfestspiele. Das Hotel Alte Ölmühle, in dessen großem Innenhof eine Bühne steht, ist die traumhaft schöne Kulisse. Ich sehe zwar keinen der Musiker, aber zu hören sind sie richtig gut.
Kurzentschlossen schreibe ich im schwindenden Tageslicht eine Mail an die Touristinfo und frage, ob es eventuell noch Karten gibt. Am nächsten Vormittag kommt die Antwort auf meinem iPad an: Man habe noch zwei Karten zurückbekommen, ich verabrede, dass die an der Abendkasse hinterlegt werden, weil ich ja schon auf dem Weg nach Hamburg bin. Auf meine Frage, ob ich die vorab bezahlen solle, bekomme ich zur Antwort, an der Abendkasse passe das schon noch. Wie toll ist das, bitte? Leider kommt mein Zug aus Hamburg so kanpp an, dass ich fast den Anpfiff verpasse. Der Gatte ist einigermaßen angefressen, weil er ohne einen Schluck zu trinken mit Büroklamotten und Rucksack Platz nehmen musste. Den Bootsschlüssel hatte ich (absprachegemäß) in der Tasche.
Wir erleben einen wunderschönes Konzert mit Musik aus den 20er Jahren, trinken kühles Bier zu Bratwurst vom Grill und kommen mit anderen Gästen ins Gespräch. Nach dem Konzert hocken wir noch eine Weile zusammen beim Bier auf einer Treppe, wo die Musiker an uns vorbeikommen. Wir bedanken uns artig für die schöne Musik. Gelegenheiten gibt es für die, die sie zu nutzen wissen!
„Watt, so flach seid Ihr?“
Der nächste Tag auf der Elbe hält wenig urbanes Leben für uns bereit. Deichvorland, aber immerhin sieht man ab und zu Radfahrer auf der Deichkrone nebenher- oder entgegenradeln. Also ordentlich benehmen, als eines der wenigen Boote auf dem Fluss sitzen wir sozusagen auf unserem Achterdeck wie auf dem Präsentierteller. Und da man nie weiß, ob nicht ein Vogelkundler mit Feldstecher auf dem Deich steht, bleiben wir mit T-Shirt und Shorts vergleichsweise förmlich gekleidet.
In vier Häfen biegen wir noch ein, um mal zu gucken. Zuerst zum Bootsclub Cumlosen, dann zum Verein Schnackenburger Bootsfreunde, dann wieder auf die Brandenburger Seite nach Lenzen, schließlich werfen wir noch einen Blick in den ebenfalls in Niedersachsen gelegenen Sportboothafen Gorleben. Kurz vor Dömitz macht das brandenburgische Ufer Platz für Mecklenburg-Vorpommern und wir sind wieder im heimatlichen Bundesland. Mal gucken, ob wir die Schleuse noch schaffen.
Die Lichtsignale im Vorhafen sind ein bisschen verwirrend, was ist hier Brücke, was ist für die Schleuse? Ein Anruf auf der Schleuse verschafft uns Klarheit. „Natürlich könnt Ihr geschleust werden“, sagt der Schleusenwärter. „Was habt Ihr denn für Tiefgang?“ Das ist eine seltsame Frage, denn offiziell gibt es keine Tauchtiefenbeschränkung für die Müritz-Elde-Wasserstraße – ich habe die Meldungen aufmerksam verfolgt, für Dömitz war nichts dabei. „75 Zentimeter“, antworten wir. Woraufhin der Schleusenwärter uns grüne Lichter gibt.
Als wir in der Schleuse drin sind, fragen wir ihn, bei welchem Tiefgang er uns nicht mehr reingelassen hätte. „So was bei 1,10 rum“ meint er, „hätte nicht gedacht, dass Euer dicker Pott so flach ist.“ Wir beglückwünschen uns einmal mehr zu unserer Kormoran. Sie ist defitiv für die Gewässer zwischen Elbe und Oder perfekt geeignet. Besser als so manch holländischer Stahlverdränger mit seinen 1,20 Metern Tiefgang und dem Überbau aus Kuchenbude und Geräteträger.
Bergauf zur gefräßigen Pumpe
Gleich oberhalb der Schleuse biegen wir in das Hafenbecken des Wasserwanderzentrums Dömitz ein. Wir bekommen einen schönen Liegeplatz in dem lauschigen Hafen – und freuen uns an den sauberen Sanitäranlagen, denn auch hier ist nichts mit Absaugen, der Saugtankwagen kommt immer nur für die großen Wohnboote der Marina und das ist jedenfalls nicht heute. Im ruhigen Hafenbecken kann ich endlich mal wieder ein bisschen schwimmen. In Wittenberge war da ja abends keine Zeit und mitten auf der Elbe habe ich mich natürlich nicht getraut, von wegen Strömung und so.
Wir verdödeln die Zeit ein bisschen und drehen enttäuscht von dem frühen Küchenschluss im Hotel am Dömitzer Hafen wieder um. Ist aber keine so große Katastrophe, ein freundlicher Dönermann mit Elbblick-Terrasse versorgt uns. Am nächsten Morgen erreicht uns die Tiefgangswarnung für den Dömitzer Elbehafen. Kurz darauf wird die Elbe wegen Niedrigwasser gesperrt. Uff!
Mit dem Abwassertank wird es jetzt langsam eng. Wir sehen also zu, dass wir nach Grabow kommen, denn dort steht eine Absauganlage, das weiß ich sicher. Und richtig, am Bollwerk ist Platz und unweit eines kleinen Häuschens, indem wir die Pumpe vermuten, machen wir fest. Eine Tür lässt sich auffrickeln und dort sehen wir tatsächlich eine schöne Absauganlage. Mit einem Münzeinwurf. Bei Passanten und den Campern des Wohnmobilstellplatzes tauschen wir uns insgesamt für drei Euro passende Münzen zusammen. Leider ist die Pumpe in Sachen Münzen gefräßiger als in Sachen Abwasser. Was für ein beklopptes System! Man setzt den Schlauch an, wirft eine Münze ein, die Pumpe baut ein Vakuum auf, beginnt kurz zu saugen, dann ist die Zeit abgelaufen, sie verliert das Vakuum wieder, man wirft die nächste Münze ein. Für zehn Sekunden effektives Saugen fünfzig Cent. Als unsere Münzen alle sind, beschließen wir, dass das jetzt reichen muss. Von Grabow haben wir genug und fahren weiter.
Der freundliche Schleusenwärter in der Leitzentrale Parchim lupft für uns zwei Minuten nach der offiziellen Zugzeit die Hubbrücke in Grabow, auch die Schleuse schaffen wir noch. Bis zur Schleuse Hechtsforth kommen wir, die hat aber schon Feierabend, so übernachten wir an der Wartestelle. Während der Grill schon mal vorwärmt, gehen wir noch eine Runde schwimmen.
Am nächsten Tag ist Kilometerfressen angesagt. Die Julisonne röstet mich auf der Badeplattform achtern, so dass ich mich wieder mit dem Festmacher in der Hand in den Niedergang hocke um ein wenig Schatten zu erwischen. Der Gemahl zieht sich mit der Vorleine in den Salon zurück. Zwischen den Schleusen ist die Müritz-Elde-Wasserstraße wunderschön. Eine spiegelglatte Wasseroberfläche, Bäume links und rechts am Ufer, hier und da Weiden und Felder.
Wir wollen Strecke machen, so lassen wir Neustadt-Glewe unbesucht und biegen am Eldedreieck nach Westen ab. Auch den schönen Hafen von Matzlow-Garwitz unterhalb der Schleuse erreichen wir lange bevor es Zeit zum Übernachten ist. Wir passieren Parchim ohne Zwischenstopp und huschen kurz vor Betriebsschluss durch die Schleuse Neuburg, so dass wir zum Abend in der Stadtmarina in Lübz ankommen, wo uns eine komplett intakte, betriebsbereite Absauganlage erwartet, die jetzt wirklich den Tank leer zischt. Eigentlich wollten wir im Restaurant Alter Amtsturm einkehren, das hat aber ausgerechnet heute Ruhetag, so kochen wir an Bord.
Zwei Mal Schreck in der Morgenstunde
Am nächsten Morgen wollen wir die letzten 20 Kilometer bis zu unseren angestammten Badeseen, den mecklenburgsichen Oberseen , nur noch hinter uns bringen. Aber, oh Schreck! Der Motor springt nicht an. Er hatte sich in den letzten Tagen immer mal ein wenig geziert und sich zwei bis drei Mal bitten lassen. Heute klickt es nur und nix passiert. Wie so oft, ist es der Kuhnle-Tours-Notdienst, der hier Rat weiß. Er beschreibt exakt, wo der Anlasser zu finden ist, und mit wieviel Schwung wir ihn mit dem Hammer einen vor den Latz knallen sollen, schon springt der Diesel wieder an.
Tja, das war es mit dem Plan, die letzten 80 Kilometer von Badepause zu Badepause über die Großseen zurück zu trödeln. Wir beschließen, heute bis Malchow zu fahren, denn wer weiß, wie oft sich der Anlasser noch mit dem Hammer auf die Sprünge helfen lässt. Eine Badepause vor Anker und dann springt der Motor nicht an? Wie soll uns der Notdienst da helfen? Seufz. Unterhalb der Drehbrücke legen wir bei Don Camillo, einem sehr guten Restaurant mit italienischer Küche am Malchower Erddamm, an. Jetzt wäre es eigentlich günstig noch mal zu baden. Aber dunkle Wolken zeigen sich schon jetzt und später am Abend geht ein Unwetter über unserem Bötchen und Malchow nieder, das es nur so kracht, blitz und regnet. Wow!
Nach der Mittagspause des Charterteams erreichen wir unseren Heimathafen im Süden der Müritz. Wir bekommen einen neuen Anlasser verpasst und laufen gleich wieder aus, die Badepausen nachholen. In Sichtweite von unserem Haus (aber immerhin außerhalb des häuslichen W-Lan-Netzes) ankern wir für die Nacht, um die letzten Urlaubsstunden noch zu genießen. Nach dem Frühstück und meiner morgendlichen Schwimmrunde verdrücke ich mich mit meinem Buch in die schattige Bugkabine. Der Gemahl hockt am Salontisch vor seinem Rechner.
Plötzlich ruft er mich hoch. „Komm schnell, du musst ans Steuer!“
Da startet er auch schon den Motor, ich stürze aufs Achterdeck und sehe was los ist. Ich am Lesen, er in seine Arbeit vertieft, sind wir unbemerkt am Anker vertrieben. 50 Meter ist das Schilf noch weg, da hätten wir schon gerne ein bisschen mehr Abstand. Er wuchtet den Anker hoch, während ich vorsichtig in Richtung Wind fahre. So schnell wie die Gefahr da war, ist sie auch wieder gebannt. Aber irgendwie ist die Unbeschwertheit der letzten Tage futsch.
Der Ehemann übernimmt das Steuer von mir und richtet den Bug in Richtung Heimathafen. „Na, dann lass uns mal zusammenpacken.“