Heute: Wir bauen einen Reisemobil-Stellplatz! Und wenn wir schon mal dabei sind … Aber lesen Sie lieber die ganze Geschichte.
Steine haben reichlich im Weg gelegen in den fast 24 Jahren, die vergangenen sind seit ein junger Hausboot-Typ aus dem Westen das Gelände des ehemaligen VEB Schiffswerft Rechlin ersteigert hat. Von den 1100 Mitarbeitern, die zu DDR-Zeiten in Rechlin Behördenboote und Rettungsboote gebaut hatten war damals, im Herbst 1997, nur noch einer – Günther Lindstaedt – vor Ort, um dem neuen Hausherren seine Liegenschaft zu zeigen. Die anderen 1099 waren im Zuge der fehlgeschlagenen Privatisierung des VEBs dem Arbeitsamt zugeführt worden, aber das ist eine andere Geschichte.
Was es damals zwischen Müritz und Claassee gab war folgendes: Betonhallen, die schon bessere Zeiten gesehen hatten, Bürogebäude mit Sprelacart- (in Westdeutschland: Resopal-) Chic aus den 70ern, eine (!) sanierte Toilette mit elegantem Fußboden sowie ein Atombunker. Viele der langjährigen Stammkunden erinnern sich sicher noch an die Industriebrache, über die sie stapften, als es endlich mit dem Straßenbau und der Erschließung losging. Über eine schlammige Baustelle mussten sie von ihren geparkten Autos zum Steg und wunderten sich vielleicht insgeheim, dass es einen Menschen gab, der fest an eine große Zukunft dieses Lost-Places an der Müritz glaubte. Harald Kuhnle, der Hausboot-Typ aus Stuttgart, hatte im Frühjahr 1991 in Waren die erste Hausbootbasis in den neuen Bundesländern eröffnet. Er dachte groß. Zu groß für die Warener Stadtvertretung, die den Kopf schüttelte, als er anbot, sich entweder des Stadthafens oder des alten Sägewerks anzunehmen um dort eine Marina aufzubauen und an Land Platz für Boote, Werkstätten und Wohnungen zu schaffen. „Wir wollten nicht, dass einer so groß wird“, steckte uns später mal ein Insider nach dem dritten Rum, „war ein Fehler damals.“ Harald Kuhnle sah sich nach einem alternativen Standort um und fand ihn am Südufer der Müritz: das Geländes des ehemals volkseigenen Betriebs Schiffswerft Rechlin.
Als 2003 der „Turm“ abgerissen wurde – ein prägnantes Beton-Monster mit Flak-Plattform auf dem Dach – schrieben wir in die Pressemitteilung: „Plattmachen ist in Ordnung, wenn man was neues aufbaut.“ Inzwischen steht dort übrigens ein schönes Apartmentgebäude. Weitere Hallen wurden abgetragen, Ferienhäuser errichtet. Überzählige Betonteile nutzen wir, um hinter den Werfthallen ebene Flächen für das Boots-Freilager zu schaffen. Was dafür nicht eben genug war, kam auf einen großen Haufen.
Der Haufen wurde immer größer. Beim Ausgraben eines Fundamentes stieg plötzlich der Baggerfahrer kreidebleich aus seinem Cockpit. Er hatte unter einem Fundament eine Fliegerbombe gefunden und glücklicherweise nicht ausgelöst. Nach der Kampfmittelsondierung und Entsorgung der Fundbombe ging es dann weiter. Einige Hallen durften stehen bleiben, wurden außen ertüchtigt und/oder verschönert und innen entkernt, damit man vernünftig Boote drin aufbewahren konnte. Der Abraum kam wieder auf den großen Haufen.
Schon seit 2006 war in der Planung des Hafendorf Müritz ein Wohnmobil-Stellplatz vorgesehen. Doch immer waren andere Investitionen wichtiger: Der Travellift, der Bau der Niederlassung in Frankreich, die neuen Marina-Müritz-Apartments, die Pirates Bar, der Anbau vor dem Captains Inn – die Liste ist endlos. Allein, es ist in der in diesem Jahr 40jährigen Firmengeschichte tatsächlich noch nicht passiert, dass jemand nach mehr Arbeit verlangt hätte. Auch der Chef nicht, der sich für künftige Projekte gerne mal Hotels auf anderen Kontinenten ansieht und Craft-Biere verkostet.
2020 – im Corona-Jahr – war der öffentliche Parkplatz vor dem Werftgebäude in einer App aufgetaucht, die kostenlose Reisemobil-Stellplätze ohne Service (aber auch ohne Gefahr verjagt zu werden) auflistet. Jeden Abend gingen wir also nach Feierabend an gemütlich entspannenden Campern zu unseren Autos. Kurz überlegten wir, auf die Schnelle einen Pop-Up-Stellplatz zu errichten. Wir hatten die Sanitärcontainer aus einem aufgegebenen Standort noch herumstehen, könnten die für den Stellplatz gedachte Ecke einmal überplanieren, Container anschließen und Einen zum Kassieren hinstellen, das sollte doch gehen?
„Nix da, wenn, dann gleich richtig, aber erst nächstes Jahr! Und einen Mitarbeiter zum Kassieren haben wir schon gar nicht übrig!“, lautete die Order de Mufti. So machten wir uns an die Planung: Ein hübsches kleines Sanitärgebäude mit fünf kompletten Duschbädern, eines davon für Rollstuhlfahrer zugänglich, außen mit Abwaschbecken, 47 unterschiedlich große Stellplätze für den ausgebauten Kastenwagen bis zum Dickschiff mit LKW-Zulassung, jeder mit Stromanschluss und Platz für Grill und Liegestuhl. Und natürlich eine Station zum Ablassen von Grauwasser, Bunkern von Frischwasser und Entsorgung von Chemie-WCs.
Bei einer sonntäglichen Winterwanderung im Schnee besprachen wir mit anderen kompetenten Spaziergängern (in Person von Hafenmeister Maik Marlow und seiner Frau Anke), ob wir einen Wall oder Bäume zur Einfriedung des Geländes nehmen sollten und ob man vorsorglich noch eine Ladestation für Elektrowohnmobile installieren sollte (erstmal nicht, aber schon mal Kabel legen). Und wenn wir sowieso schon dabei sind, können wir ja noch zusätzliche Stellplätze für Kunden anlegen, oder? Die olle Sandfläche und die Wiese vor und neben dem Captains Inn war in der letzten Saison eher ein Parkchaos als ein Parkplatz. Warum muss ein Auto eine Woche mit Blick aufs Wasser herumstehen, während sein Besitzer mit dem Hausboot unterwegs ist?
Dann rückten die Bauarbeiter an. Erstmal unsere Eigenen. Zunächst wurden alte Schächte „zurückgebaut“ (ausgebuddelt und auf den großen Haufen), außerdem bauten die Werftkollegen alte Fernwärmerohre aus, räumten tote Wasserleitungen weg, trennten Stahlrohre mit dem Gasbrenner. „Keiner wusste, welcher Schacht noch für irgendwas gut war“, berichtet das Bau-Team. Rat wusste wieder mal Günther Lindstaedt (der eingangs erwähnte Mitarbeiter 1100, der das Gelände wie seine Latzhosentasche kennt). Er kam gerne aus dem Ruhestand vorbei und sagte, welches Rohr wohin führt. Dann konnten neue Rohrbettungen gebaggert und Leitungen verlegt werden: Für Abwasser, Frischwasser, Regenwasser und allerhand Kabelage: 400 Meter Glasfaserkabel, 700 Meter CAT-7-Leitung und wohl einen ganzen Kilometer Stromkabel versenkte die Kuhnle-Werft im Boden. Es wäre natürlich nett gewesen, jeden Stellplatz einzeln mit einem Wasseranschluss zu versehen, leider erschwert die neue Trinkwasserverordnung solche dezentralen Anlagen, so wird es dann Wasser und Abwasser an einem etwas seitlich liegenden Ver- und Entsorgungsplatz geben.
Nun musste das ganze Gelände noch aufgefüllt und leidlich eben gemacht werden. Dafür Boden anfahren lassen, kommt bei einer Firma mit schwäbischen Wurzeln natürlich nicht in Frage. Wozu hatten wir schließlich die letzten Jahre Beton gesammelt! So kam der große Haufen nach und nach in einen Schredder, wo er zu kleinen Steinchen gemahlen und zum Auffüllen von Schächten und Gelände genutzt wurde.
Jetzt kurz nach Ostern ist der Platz soweit gediehen, dass wir im Mai die ersten Wohnmobile begrüßen können. Vorausgesetzt, dass uns allen dann unsere Reisefreiheit zurückgegeben ist. Dann wird die ganze digitale Landschaft des Platzes samt drei W-Lan-Verteilern schon fertig sein. Die Idee ist, dass man den Platz vorab im Internet bucht, die Schranke an der Einfahrt das Autokennzeichen lesen und man mit Codes die Türen öffnen kann.
Wir freuen uns auf die Landyachten und ihre Crews!
Der Stellplatz bekommt natürlich auch eine eigene Internetseite für Anmeldung und Information: www.reisemobil-marinas.de