Drei Jungs, die die Schule schon eine Weile hinter sich haben, starten noch mal neu: Sie lernen Hausbootfahren inklusive Tunnel, Schiffshebewerk und Schleusenmarathon, trotzdem bleibt noch viele Muße für französische Lebensart an Bord.
Alex, unser Mann in Niderviller, ist ein sympathischer junger Franzose. Er übergibt uns in der Marina das Boot der Kormoranklasse für unseren ersten Törn auf dem Rhein-Marne-Kanal in Lothringen. Von ihm erhalten wir eine „Schnellbleiche“ im Umgang mit Bordelektronik, Ruderanlage, Verkehrsvorschriften und wertvolle Tipps über das, was für das Leben und Überleben auf dem Wasser sonst noch wichtig sein könnte. Kompetent weist uns Alex bei einer Probefahrt in die Manövrierung des 13-Tonnen-Bootes ein. Dass die „Chagall“ ganz aus Stahl gebaut ist, beruhigt uns ungemein. Auch ihre Ausstattung lässt bei uns dreien keine Wünsche offen. Alles, was wir bei unserer Premierenfahrt brauchen, ist da. Die Kajüte mit den drei Betten im Heck bietet uns genügend Platz. Auch die Messe mit dem Hauptsteuerstand und der Bordküche ist sehr geräumig. Wir bevorzugen es jedoch, auf dem Oberdeck „zu wohnen“ und von dort aus zu navigieren.
Es ist ungewöhnlich heiß Ende Mai. Trotz der herrschenden Schwüle werden wir von Gewittern verschont. Die hypothetische Frage von Gerd, ob ein Schiff ein faradayscher Käfig sei, kann deshalb unbeantwortet bleiben (ist es – Anm. Red.) . Nur auf unsere Haut müssen wir gut aufpassen. „Schmieren und salben“ sind angesagt.
Nachdem sich Alex davon überzeugt hat, dass er uns das Schiff anvertrauen kann, starten wir den Diesel und begeben uns auf die schleusenfreie Fahrt gen Westen. „Für euch muss am ersten Tag das Vertrautwerden mit dem Boot im Vordergrund stehen“, hatte uns Alex ans Herz gelegt. Dass ein Schiff anders zu manövrieren ist als ein Auto, merken wir an den Kanalbiegungen schnell. Meine ersten Steuerversuche fallen noch recht kläglich aus. Vor den Engstellen habe ich gehörigen Respekt.
Wir passieren die kleinen Dörfer Schneckenbusch und Hesse. Dazwischen queren wir eine Kanalbrücke. Unter uns sehen wir die junge Saar und die Straße von Lorquin nach Sarrebourg. In Xouaxange legen wir nach zwei erkenntnisreichen Stunden an und machen einen ersten Landgang. Er fällt kurz aus, weil die einzige Kneipe geschlossen hat. Dafür genießen wir das Abendbrot an Deck. Der „Montagne de Saint Emilion“ aus dem Supermarkt von Sarrebourg stellt uns sehr zufrieden. Dieser Rotwein aus dem Bordeaux passt ausgezeichnet zum Münsterkäse, für den sich Reiner ausgesprochen hat.
Am nächsten Morgen erreichen wir bei Gondrexange den gleichnamigen See, an dem wir gut zwei Meter tiefer entlangschippern, getrennt durch einen Damm. Die Landschaft entlang des Kanals ist gekennzeichnet durch üppiges Grün, Auenwälder und Feuchtgebiete. Neben Schwarzmilanen sind es Weißstörche und Graureiher, die wir mehrfach sichten. Der Kanal ist recht eintönig hier. Er scheint von seinen Erbauern mit dem Lineal gezogen worden zu sein. Vor der Schachtschleuse von Réchicourt-le-Chateau kehren wir um. Sie ermöglicht den Aufstieg zur sogenannten Vogesen-Scheitelhaltung. Damit überwindet der Kanal eine Höhe von 267 Meter. Entspannt tuckern wir zur Marina von Niderviller zurück. Wir fühlen uns gerüstet für die wahren Herausforderungen, die am folgenden Tag auf uns warten.
Und so ist es dann auch: Die beiden Tunnel von Arzviller fordern uns. Wir legen durch den ersten einen ziemlichen Schlingerkurs hin. Im zweiten Tunnel hat Gerd am Steuer die Sache dann gut im Griff. Tief beeindruckt uns die wasserbautechnische Leistung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. 480 Meter und 2310 Meter mussten die beiden Stollen für die Schiffe durch den Berg getrieben werden.
Entschleunigt reisen wir mit der „Chagall“ von einem Höhepunkt zum nächsten. Wenige Flusskilometer nach dem Tunnelausgang erwartet uns das Schiffshebewerk Saint Louis/Arzviller. Es ist seit 1969 in Betrieb und heute noch eine Attraktion. Mit einem Höhenunterschied von 44,55 Meter ersetzt es 17 Schleusen. In dem auf Rollen gelagerten Trog schweben wir zusammen mit einem zweiten Schiff hinunter ins Tal der Zorn. Bei der Talfahrt wird der Trog mit so viel Wasser gefüllt, dass sein Gewicht etwas größer ist als das der Gegengewichte. Bei der Bergfahrt läuft das Spiel umgekehrt; etwas Wasser wird abgelassen. Jetzt sind die Gegengewichte schwerer und ziehen die Wanne mit den Schiffen nach oben.
Uns erwartet die erste Schleuse einer ganzen Reihe von Schleusen mit den Nummern 18 bis 22 hinunter nach Lutzelbourg. Wir haben vor den Bauwerken ziemlichen Respekt; kommen dann aber mit ihrer Technik ganz ordentlich zurecht. Die Schleusen sind weitgehend automatisiert. In dem kleinen beschaulichen Städtchen sehen wir uns um und kehren in der „Bierstub d´Eselbahn“ ein. Der Name der Brasserie erinnert an die Schmalspurbahn, die einst Lutzelbourg mit Phalsbourg verband. Wir genießen den Abend und lassen ihn an Deck unseres Bootes bei einer Flasche Elsässer Riesling ausklingen.
Dass wir Saverne mit unserem Zeitbudget nicht mehr erreichen können, ist uns spätestens dann klar, als wir die Schleusen bis dorthin gezählt haben. Nach Nummer 23 wenden wir. Diese Schleuse wird uns für immer in Erinnerung bleiben. Beim Abwärtsschleusen klemmt die Leine am Heckpoller. Es folgt ein strammer Ruck und die „Chagall“ wird kurz angehoben. Dann reißt die Leine mit einem scharfen Knall. 13 Tonnen Stahl sind für den Strick dann doch zuviel. Aber nix passiert. 🙂
Im Kanalbecken unterhalb des Schiffshebewerks machen wir fest und unternehmen einen Landausflug in die Vergangenheit. Die alte Schleusentreppe im Teigelbachtal mit den Nummern 1 bis 17 hat unser Interesse geweckt. Was wir vorfinden, begeistert uns. Die 1853 in Betrieb genommenen und bis 1969 genutzten Wasserbauwerke sind heute ein Industriedenkmal erster Güte und werden für die Nachwelt erhalten. Teilweise sind die Schleusenwärterhäuschen vorbildlich renoviert und werden bewohnt.
Am Morgen unseres letzten Reisetages sind wir das erste Schiff, das der Schrägaufzug nach oben befördert. Ohne Blessuren passieren wir die beiden Tunnel und nehmen unser Frühstück im kleinen Kanalhafen von Niderviller ein. Ein Mitarbeiter der VNF, der staatlichen Wasserstraßenverwaltung erläutert uns deren Aufgaben in diesem Kanalabschnitt. Leider bleibt uns nicht mehr die Zeit, seine nützlichen Hinweise für die Wende- und Anlegemanöver auszuprobieren. Alex, unser Mann in Niderviller wartet auf uns. Er will das Boot wiederhaben.
Ulrich Waldbüßer (29. Mai bis 02. Juni 2017 – Kormoran 940)